Montag, 24. Dezember 2012

Relativ und absolut



Der Mars
ein relativ kleiner Planet
in einem relativ kleinen Sonnensystem
kommt uns nahe
relativ nahe
für astronomische Verhältnisse

so nah
wie seit sechzigtausend Jahren
relativ selten
für menschliche Verhältnisse

Der Mars
der männliche rote Planet
benannt nach einem selbsterdachten Gott
eines relativ kleinen Volkes
einer relativ kurzen Epoche
als Antike bekannt

Die Menschen
sind absolut begeistert
drängen sich um Teleskope
um die Polkappen zu sehen
beten quasi um klare Sicht
und sind dankbar für die Stunde ihrer Geburt


Jahwe
der absolut höchste Gott
Herr und Schöpfer der Sonnensysteme
kommt uns nahe
absolut nahe
nicht nur für irdische Verhältnisse

einmal
für dreiunddreißig Erdenjahre
absolut Mensch
für göttliche Verhältnisse

Jahwe
der menschgewordene Gott
geboren von der Jungfrau Maria
in ein absolut kleines Volk
unter absolut unwürdigen Umständen
als Jesus Christus bekannt


Die Menschen
sind relativ uninteressiert
drängen sich in Einkaufsstraßen
um dem Fest einen Sinn zu geben
suchen quasi nicht nach Gott
und relativieren das Ereignis dieser Geburt

Schon immer fiel es Menschen schwer
jenen absolut relativen Individuen
Relatives von Absolutem
Wesentliches von Vorläufigem
zu unterscheiden



Aus dem Gedichtband 'Bethlehem eben' 
2008 herausgegeben von Benedikta Buddeberg


Sonntag, 9. Dezember 2012

Hintergrund


Die Zeitungen und andere Medien sind voller Ankündigungen
von größeren oder kleineren "Weihnachts"-Märkten.
Aber hat das alles eigentlich etwas mit Weihnachten zu tun?


Hintergrund

Verdrängt überlagert verbaut
in den Hintergrund verbannt
durch Karusselmusik und Bachkonzert
Herzbuben und Klingelingeling
die Ohren betäuben
wie Kanonenschlag und Detonation
Im Hintergrund
der Lobgesang der Engel

Verdrängt überlagert verbaut
in den Hintergrund verbannt
durch Glühwein und Würstchen
Bratäpfeln und Galamenues
die sich auftürmen
wie die Grenzmauer des Schlaraffenlands
Im Hintergrund
das Brot des Lebens

Verdrängt überlagert verbaut
in den Hintergrund verbannt
durch Lichterketten und Kerzenmmeer
Hallogenrausch und LEDgeflacker
die die Sicht verblenden
wie der Blitz einer Atomexplosion
Im Hintergrund
das Licht der Welt

Verdrängt überlagert verbaut
in den Hintergrund verbannt
durch Weihnachtsfeiern und Weihnachtskonzerten
Weihnachtstheater und Weihnachtsmärkten
die den Sinn verkaufen
wie der billige Jakob beim Marktschreierfest
Im Hintergrund
der Mensch gewordene Gott

Verdrängt überlagert verbaut
in den Hintergrund verbannt
durch Friedensgesprächen und Festagsreden
Spendenmarathons und Sozialromantik
die das Gewissen beruhigen
wie das bekannte Opium für’s Volk
Im Hintergrund
das Kind in der Krippe

Hinter den Festagsgebräuchen
im ach so christlichen Abendland
findet sich wirklich
Jesus
das Brot des Lebens
das Licht der Welt
das Kind in der Krippe
der Mensch gewordene Gott
dem die Engel Tag und Nacht singen
Wer ihn sucht wird ihn finden
im Hintergrund
den Grund


Sonntag, 25. November 2012

Der Maler


(In Köln wird bis zum Ende des Jahres die sehr sehenswerte Ausstellung '1912 – Mission Moderne' gezeigt. Hier dazu das passende Gedicht.)


Der Maler

Jeden Morgen
vor dem Spiegel.
Dein müdes Gesicht
sieht, was Lippen
zwischen Bartstoppeln
lautlos formen:
„Wer bist du eigentlich und
was machst du hier?“

„Kunst“, antwortet die Stimme,
„ich mache hier Kunst.“

Höhnisch
grinst der im Spiegel:
„Kunst also meinst du -
brotlose Kunst,
würde ich sagen.
Oder ist da jemand,
den das interessiert,
was du hier machst?"

„Malen“, flüstert die Stimme
„ich muss malen.“

Verachtung
schwappt aus dem Spielgel.
„Malen, ach wirklich?
Hat denn schon mal
jemand ein Bild gekauft,
außer damals
dein Bruder
aus reinem Mitleid?“

„Maler“, bebt die Stimme,
„ich bin ein Maler.“

„Wahnsinn“,
schimpft der Spiegel.
„Keiner will es sehen,
keiner will es kaufen.
Dir fehlt Promotion.
Das mit dem Ohr
war ein guter Versuch -
hundert Jahre zu früh!“

„Maler!“, schreit die Stimme,
„ich bin Vincent, der Maler!“



Das Selbstportrait von Vincent van Goch kann man auf der Homepage des Walraf-Richartz-Museums in Köln anschauen:




Dienstag, 6. November 2012

Novemberbegegnung 2003


Eine kleine Gruppe Menschen
folgt beinahe schweigend
jener weißblauen Fahne
mit dem Davidstern
Die Luft ist lau
an diesem Abend
fast wie im Frühling
doch

Es ist November
Zeit auf die Straße zu gehen


Passanten auf der Straße
weichen zur Seite
überrascht erstaunt
oder starren Blicks
angesichts der Fahne
Vater Mutter Kind
Der Mann zischelt
Die sind hier alle
einfach krank

Es ist November
Zeit auf die Straße zu gehen


Leute alle Aua Weh
sagt die Kleine
laut und voll Mitleid
Psst sei still
versucht die Mutter
Doch noch lauter
aus dem Buggy
die Kinderstimme
Aua Weh

Es ist November
Zeit auf die Straße zu gehen


Du hast recht Kind
alle hier diese Menschen
haben Aua Weh
Schmerzen über Dinge
die vergangen scheinen
es aber nicht sind
solange vergessen wird
was niemand vergessen darf

Es ist November
Zeit auf die Straße zu gehen


Schmerzen Leiden Aua Weh
zu Millionen ermordet
Vater Mutter und Kind
verachtet vernichtet
zerschmettert erschlagen
Auch Kinder wie du
Das nicht zu vergessen
macht krank und tut weh

Es ist November
Zeit auf die Straße zu gehen


Doch in deinen Augen
das Mitleid mit uns tut gut
Mag dein Vater uns verachten
und deine Mutter versuchen
zu verdrängen verschweigen
Du sagst es laut und voll Schmerz
hast du dich vielleicht angesteckt
an unserem Aua Weh

Es ist November
Zeit auf die Straße zu gehen



(So erlebt in einer Stadt im Ruhrgebiet während eines Schweigemarsches zum Gedenken an die Reichsprogromnacht am 9. November)



Mittwoch, 17. Oktober 2012

Herbsttag


(Zu jeder Jahreszeit zu singen)

Herr, keine Zeit. Der Sommer war nur Hauch.
Kein Schatten hält uns an die Sonnenuhren
und keine Spuren lässt des Lebens Rauch.

Befiehl den leeren Stunden voll zu sein;
gib ihnen nur zwei sinnerfüllte Tage
dränge sie zur Vollendung hin im Jagen
schenk ihnen Süße wie von schwerem Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird surfen, chatten, Kurzbotschaften schreiben
und wird auf Datenstraßen hin und her
unruhig schlaflos wie die Blätter treiben.

(nach Rainer Maria Rilke: Herbsttag) 

 

Donnerstag, 13. September 2012

Einsicht und Erkenntnis

Was sehen wir schon?
Reflexe Konturen und Form
Pixel und Farben
was sehen wir schon?

Was sehen wir schon?
Netzhautprojektionen
vom Gehirn zurecht gerückt
Was sehen wir schon?

Was sehen wir schon?
wir glauben was wir sehen
oder glauben wir was wir sehen
Was sehen wir schon?

Sehen wir schon was?

Freitag, 3. August 2012

Alternative


Die selbsternannten Herrn der Welt
verwandeln alles und jeden in Geld,
brechen Landschaften und Meeresgrund auf,
bieten selbst Erbgut und Menschen zum Kauf.
Dass dabei Natur und Menschheit verliert,
intressiert nicht, wird der Gewinn maximiert.
Am Schluss der Bilanz zählt einzig Profit
und jeder, der irgend kann, macht mit.
So verwandeln die jetzigen Herrn der Welt
die Erde, die Luft und das Wasser zu Geld.

Der Schlüssel zum Leben muss anderswo sein,
sagt einer und wandelte Wasser zu Wein.



Montag, 2. Juli 2012

Regenbogenwetter


Schwarz drohen
aufgetürmte Gewittergebirge
vor schwefelgelbem Himmel
Zuckende Blitze
blenden für Sekunden
kaltweißes Licht auf
Gespenstische Szene

Basstönene Detonationen
erschüttern die Luft
die Erde scheint zu beben
Regen bricht herab
platzt wie überreife Frucht
Staub wirbelt auf
bevor er gebunden

Wie ein Strafgericht
toben die Elemente
früher sagte man
Kind pass auf
der liebe Gott schimpft
So sagte man
Doch der Himmel reißt auf

Blau tiefleuchtend provokant
kontrastiert er mit
schmutzgelb und grau
ein Schleier aus Wasser
versucht den Blick zu trüben
Da
überraschend
doch erwartet
strahlend ein Regenbogen

Das Zeichen seiner Treue
gegen das berstende Donnern
gegen das beängstigende Blitzen
gegen Hagel Regen und Sturm
Bei gutem Wetter
bleibt es unsichtbar
Das Zeichen deiner Treue
lieber Gott

Donnerstag, 14. Juni 2012


Zeitperlenspiel


Eine Perlenkette ist die Zeit
kostbar oder gewöhnlich
vergänglich unabänderlich
eine Perlenkette ist die Zeit

Aneinander gereiht
unterteilt man sie in Tage
in Stunden oder Jahre
Minuten Viertelstunden
Monate und Sekunden

Leicht kann man vergessen
knapp ist sie bemessen
doch die nicht erfüllte Zeit
ist unerträgliche Langsamkeit
und selbst wenn man gar nichts tut
fühlt man sich nicht ausgeruht
man versucht Zeit zu vertreiben
Perlen scheinbar kleben bleiben

Manchmal läuft sie davon
was so spät ist es schon?
man wär' so gerne geblieben
beim Lachen beim Lieben
mit dem Liebsten allein
lange Nächte schwerer Wein
in den Bergen am Strand
Perlen rinnen wie Sand

Wenn es scheint die Zeit steht
nennt das mancher Gebet
was das Mala dem Buddhist
ist ein Rosenkranz dem Christ
im Islam als Tasbih bekannt
Perlen laufen durch die Hand
jeder hält sein Stück der Zeit
fest aus Perlen der Ewigkeit

Aneinander gereiht
durch Zeitvertreib vertrieben
als Erinnerung geblieben
manchmal völlig vergessen
bis das Lebensband gerissen

Eine Perlenkette ist die Zeit
kostbar oder gewöhnlich
vergänglich unabänderlich
eine Perlenkette ist die Zeit

 

Mittwoch, 6. Juni 2012


Treibholz


Tiefe Wurzeln
fest verankert
an Quellen
lebendigen Wassers

machen eine
Karriere als
Treibholz
wohl unwahrscheinlich

Wer tief verwurzelt
und fest verankert
an Quellen
lebendigen Wassers
steht

träumt kaum
von einer
Karriere als
Treibholz

Wer tief verwurzelt
und fest verankert
an Quellen
lebendigen Wassers
wächst

verschwendet
keinen Gedanken
an eine Karriere
als Treibholz